Oettinger: "Mir liegt das Leistungsschutzrecht sehr am Herzen"

Am 20. September 2017 - 0:22 Uhr von Tom Hirche

Anfang dieser Woche fand in Stuttgart der Jahreskongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) statt. Unmittelbar davor hatten die "Stuttgarter Nachrichten" ein Interview mit EU-Kommissar Günther Oettinger veröffentlicht, das bei vielen Verlegern für Freudentränen gesorgt haben wird. Denn der Politiker hat sich mal wieder für ein europäisches Verlegerrecht stark gemacht – undifferenziert und uninformiert wie eh und je.

Trotz Ressortwechsel noch voll dabei

Kurz zur Erinnerung: Es war Günther Oettinger, der im September 2016 in seiner Funktion als EU-Digitalkommissar einen Vorschlag für eine Urheberrechtsrichtlinie gemacht hatte. Zwar ist er seit Anfang 2017 eigentlich EU-Kommissar für Finanzplanung und Haushalt, doch der Ressortwechsel hält ihn offensichtlich nicht davon ab, entgegen heftigster Kritik von allen Seiten weiterhin für seinen Vorschlag zu kämpfen.

Im Interview mit den "Stuttgarter Nachrichten" gab er preis, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gebeten zu haben, bestimmte Themen weiterhin begleiten zu dürfen. Dazu gehöre unter anderem das Urheberrecht und hier insbesondere seine Herzensangelegenheit: ein europäisches Verlegerrecht. Daher berate er seine Nachfolgerin Mariya Gabriel in dieser Angelegenheit. Die Verlegerlobby wird sich freuen das zu hören. Für Verfechter eines auf freien Informationsaustausch angelegten Internets ist es hingegen eine Hiobsbotschaft. Warum genau, das belegen (mal wieder) die weiteren Interviewaussagen.

Schäbigste Klientelpolitik

Gleich in seiner ersten Antwort zeigt sich so viel Unwissen und Verblendung. Der Popularitätsanstieg der "sozialen Medien" habe dazu geführt, dass "ein großer Teil des Anzeigenkuchens" zu "Google und Co. abgewandert" sei. Indem "diese Plattformen [...] Artikel der Online-Ausgaben von Zeitungen in einem Anreißer zusammenfassen", würden sie "gutes Geld" verdienen, jedoch selbst "wenig in die Qualitätssicherung der Medien, in die Ausbildung von Journalisten und in Vollzeitarbeitsplätze" investieren. Weil dadurch das traditionelle Geschäftsmodell von Zeitungsverlagen unter Druck gesetzt werde, sollen Verleger und Journalisten einen Teil des Werbeaufkommens der sozialen Medien erhalten.

Wovon spricht der Mann? Auf Googles sozialem Videonetzwerk YouTube werden keine Anreißer gezeigt und hat schon mal jemand Google+ für irgendetwas verwendet? Bei Google News handelt es sich weder um ein soziales Medium, noch wird dort Werbung geschaltet. Und seit bereits mehreren Monaten werden dort auch keine Anreißer mehr gezeigt. Lediglich auf die "normale" Websuche treffen die letzten beiden Punkte bedingt zu, doch übersieht Oettinger (immer noch), dass darüber viele Nutzer zu den Verlagsseiten weitergeleitet werden. (Natürlich gibt es noch weitere Anbieter von Online-Plattformen, doch Oettinger selbst nennt immer nur Google ausdrücklich.)

Es sind auch nicht die Plattformen, die den Teaser für Online-Texte erstellen, sondern es sind die Presseverlage selbst. Mit Suchmaschinenoptimierung tun sie alles dafür, dass ihre Artikel bei Suchanfragen möglichst ganz oben stehen. Wenig überraschend ist das Ziel davon, dass Nutzer auf den Link klicken und sich den ganzen Artikel auf der Verlagsseite durchlesen. Wäre es nicht gewollt, dass der Anrisstext gezeigt wird, könnten die Verlage dies ganz einfach verhindern (Stichwort: robots.txt). Sie tun es jedoch nicht, weil sie von Suchmaschinen und News-Aggregatoren profitieren. Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation.

Altes bewahren und Innovatives verhindern

Dass Google Journalismus nicht fördere ist ebenso frei erfunden. Bei der Digital News Initiative können sich europäische Medienunternehmen mit innovativen Projekten im Bereich Journalismus um Fördergelder bewerben. Insgesamt 150 Millionen Euro stehen dafür bereit. Auch nach Deutschland sind bereits Gelder geflossen. Die Verlage, die für ihr Leistungsschutzrecht kämpfen, boykottieren jedoch dieses Angebot. Sie versuchen lieber weiterhin ihre traditionellen Geschäftsmodelle künstlich am Leben zu halten anstatt einen Entwicklungsprozess einzuleiten. Rätselhaft ist, warum ausgerechnet Günther Oettinger an ihrer Seite steht. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem digitalen Fortschritt und bezeichnet "autonomes Fahren" sowie die "Digitalisierung der Industrie" als weitere Themen, die ihm sehr wichtig sind. Doch ausgerechnet beim Urheberrecht schaut er nur auf die Vergangenheit.

Das vorgeschlagenen Verlegerrecht wird aber nicht zum erhofften Ergebnis führen. Oettinger geht davon aus, dass Google es sich nicht erlauben könne, auf den europäischen Markt zu verzichten. Auf Google News werden aber seit der Designänderung weltweit keine Anreißer mehr gezeigt. Offensichtlich sind sie für Google nicht notwendig für den Dienst. Ein EU-weites Verlegerrecht wird die Verhandlungsposition der Verlage, entgegen Oettingers Annahme, nicht stärken. Denn Google wird den gleichen Schritt einfach bei der Websuche gehen, sollte das neue Recht kommen. Damit hätte am Ende niemand gewonnen und die größten Verlierer wären die Verbraucher, kleine Verlage und innovative Start-ups.

Das beste Lügenpferd im Verlegerstall

Man könnte noch so viel mehr sagen, z. B. zu Oettingers Aussage, dass mit dem Verlegerrecht (!) das geistige Eigentum der Urheber, also der Journalisten gestärkt werde. Ein Leistungsschutzrecht wie das Verlegerrecht schützt Investitionen und gerade nicht kreative Leistung. Den Urhebern bringt das Recht nichts. Ganz im Gegenteil wird der Konsum ihrer Werke noch erschwert. Fraglich ist auch, warum Mitgliedstaaten nicht verpflichtet werden sollen, Journalisten an den erhofften Einnahmen aus dem Verlegerrecht zu beteiligen? Und wie hoch ist eigentlich der Anteil an Vollzeitarbeitsplätzen in der Verlagswelt? Für Kopfschütteln sorgt auch die Behauptung, Links würden vom Gesetzentwurf nicht erfasst. Eine ausdrückliche Ausnahme fehlt jedenfalls, so wie generell jede Einschränkung des Rechts fehlt

Günther Oettinger hat die Lügen der Verleger-Lobby so sehr verinnerlicht, dass er sie selbst ein Jahr nach Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags immer noch unverändert wiedergibt. Die allerorts von Verbraucherverbänden, Wissenschaftlern und zukunftsorientierten Verlagen geäußerte Kritik überhört er völlig. Sein Blick geht nur zum Geld, das Online-Plattformen weltweit mit unterschiedlichsten Diensten verdienen. Er scheint wirklich zu glauben, dass dies nur dank des Beitrags von ein paar deutschen Presseverlagen möglich ist und sie um ihren Anteil betrogen würden. All das Geld und die Arbeit, die bereits in dieses hirnrissige Verlegerrecht geflossen sind, hätten besser für die Entwicklung moderner Geschäftsmodelle eingesetzt werden sollen.

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